Sie hat etwas Mythisches, denn alle Radfahrer in Südamerika scheinen sie zu benützen (laut den Blogs und Foren, die wir im Netz gefunden haben). Man kann also sagen, dass wir ungeduldig waren, dorthin zu kommen. Auch weil zwei deutsche Radfahrer, die wir in der Nähe von El Calafate getroffen haben, versprochen haben, dass es weniger Wind geben würde 😉 Von El Chalten aus sind es nur wenige Kilometer, eine Fähre, ein paar weitere Kilometer und eine zweite Fähre. Ganz einfach… Auf dem Papier!!!
Die Ankunft auf der Carretera Austral
Die ersten Kilometer vergingen schnell in einer herrlichen Umgebung. Am nächsten Morgen nehmen wir die erste Fähre am Lago del Desierto und überqueren auf der anderen Seite des Sees die argentinische Grenze. So weit so gut, danach wird es kompliziert, mit unseren Fahrrädern auf einem Wanderweg… 6 km lang haben wir unsere Fahrräder geschoben und gezogen, über umgestürzte Baumstämme getragen und eisige Flüsse und Schlammfelder durchquert…. 4h später sehen wir buchstäblich das Licht am Ende des Tunnels in Form einer Straße aus dem Wald, Chile hier sind wir wieder! Bleiben noch 16 km durch den Wald und eine schöne Abfahrt zum Lago O’Higgins. Wir haben es nicht eilig, die Fähre sollte erst am nächsten Tag um 14 Uhr abfahren. Zur angegebenen Zeit erreichen wir den Bootssteg, aber weit und breit kein Boot in Sicht. Wir fahren 300 m weiter zum Campingplatz nebenan, dort sind noch ein paar andere Reisende, aber niemand scheint wirklich etwas zu wissen. Wir warten… Ein paar Stunden später werden wir informiert: keine Fähre für heute, keine weiteren Informationen… Dieser Campingplatz wurde für 4 Tage unser Zuhause, die Zeit, um auf die Fähre zu warten. Wir hatten nicht geplant, so viel Zeit dort zu verbringen, zum Glück war die Gesellschaft gut. Jeden Tag kamen neue Reisende an, am Ende waren wir ungefähr 30 Personen! Wir improvisierten Fahrradputzworkshops, ein Fußballspiel auf dem Platz des chilenischen Zollamts, Kartenspiele während es regnete… Und zum Glück verkaufte die Besitzerin des Campingplatzes hausgemachtes Brot, so mussten wir nicht verhungert! An gesagtem 4. Tag kommt die Fähre endlich an und trotz der schönen Lage des Campingplatzes sind alle glücklich wegzukommen. In Villa O’Higgins am anderen Ende des Sees angekommen, sind wir endlich auf der Carretera Austral. Während die meisten unserer Campingkollegen eine Nacht hier bleiben, sitzen wir nach ein paar Einkäufen und einem guten Essen im Restaurant bereits am selben Tag auf dem Fahrrad.
Südliche Hälfte der Carretera Austral
Die Landschaft hat sich verändert: Sie ist viel grüner geworden, es gibt Flüsse, Seen und eine üppige Vegetation rundherum. Auf den ersten 200 km begleitete uns größtenteils der Regen. Nach einer unruhigen Nacht (Katrin ist mit Regenspritzern im Gesicht aufgewacht, der Wind wehte so stark, dass der Regen unter dem Dach durchkam…), dass wir beschlossen, den Regen abzuwarten und stattdessen in der Wärme unserer Schlafsäcke einen Film anzuschauen (danke Netflix; dass man Filme herunterladen kann…). Gegen Mittag beschlossen wir, an Ort und Stelle zu essen, weil es keinen Sinn machen würde, eine halbe Stunde Rad zu fahren und danach im Regen zum Mittagessen anzuhalten. Es war also schon 13 Uhr, als wir endlich unsere Taschen packten. Plötzlich mischten sich Stimmen in den Regen draußen. Wir fanden zwei Radfahrerfreunde vor der Tür, die mit uns auf dem berühmt berüchtigten Campingplatz waren und die Villa O’Higgins am selben Morgen verlassen haben. Sie aßen zu Mittag, während wir unsere Sachen zusammenpackten. Es regnete immer noch, aber wir hatten nun neue Motivation, indem wir mit unseren Freunden weiterfahren konnten.
Wir setzten die Reise bis zum Rio Bravo fort, wo wir um 19:00 Uhr die letzte Fähre nahmen. Wir waren bereits alle an Bord, als um 18:59 Uhr gerade noch ein weiterer Freund vom Campingplatz mit voller Geschwindigkeit eintraf. Auf der anderen Seite angekommen, ließen wir uns schließlich zu fünft im Warteraum der Fähre für die Nacht nieder. Zum Glück war der Raum groß genug, damit wir alle mit unseren Matratzen und Schlafsäcken auf dem Boden Platz haben. Gleich gegenüber gab es einen kleinen Kiosk, wo wir eine heiße Schokolade zum Aufwärmen von diesem regnerischen Tag und Empanadas und Cocadas (leckere, in Kokosette gerollte Schokoladenknödel, lecker) zum Nachtisch nehmen.
Am nächsten Tag fuhren wir alle in unserem eigenen Tempo los, aber wir waren nie weit voneinander entfernt. Wir trafen uns zu Mittag zum picknicken und zu einer Pause um 4 Uhr Nachmittag. Eine Bäuerin am Straßenrand verkaufte Brot und selbstgemachte Marmelade zu Kaffee und Tee. Wir brachen zum letzten Anstieg des Tages in der Sonne auf. Unsere 3 Begleiter hielten oben an, um im Zelt zu schlafen. Wir fuhren weiter (Matthieu wollte zu sehr in einem Bett schlafen und eine heiße Dusche). Letztendlich legten wir 125km und 2020 hm zurück, um in Cochrane anzukommen. Wir gönnten uns eine gute Pichanga für zwei Personen (ein riesiger Teller Pommes Frites, garniert mit verschiedenen Fleischsorten, Tomaten, Zwiebeln und Avocados) und sogar 3 Stück Kuchen (die waren einfach zu köstlich). Hoch lebe das Junkfood! Zum Schlafen fanden wir ein Airbnb im Haus eines super netten jungen Paares.
Wir blieben einen Tag in Cochrane, um uns von den Strapazen des Vortages auszuruhen und ein paar Einkäufe zu erledigen. Am zweiten Tag verließen wir die Stadt unter einem gemischten Himmel. Die Landschaften waren herrlich: Wir fuhren entlang des Rio Baker von einem unglaublichen Blau, umgeben von Bergen bis nach Puerto Bertrand, wo wir in einem Buswartehäuschen schliefen, das groß genug für unsere beiden Matratzen und unsere Fahrräder war.
Am nächsten Tag war endlich die Sonne da, was die Landschaften noch schöner machte (ja, es ist möglich). Wir radelten zwischen Seen, Flüssen und Bergen. Wir waren beeindruckt von den Blautönen des Wassers und den Blumen in allen Farben. Am Abend kamen wir in Puerto Rio Tranquilo an, wo wir übernachten wollten. Wir wussten noch nicht, wo wir schlafen sollten, also suchten wir zuerst ein Restaurant mit Internet, damit wir nach Hotels und Airbnb suchen können. Noch bevor wir entschieden hatten, was wir tun sollten, stellte sich ein Mann als Patricio vor und fragte uns, ob wir die beiden Schweizer Radfahrer sind, die ihm über Couchsurfing geschrieben haben. Wir verneinten und meinten zum Spaß, dass wir auch einen Platz zum Schlafen suchen. Er lud uns sofort in sein Haus mit großen Garten ein. Als wir ankamen, stellten wir fest, dass sich bereits etwa 15 andere Reisende in seinem Haus befanden. Er begrüßte jeden mit offenen Armen, egal ob es Reisende mit dem Fahrrad, Motorrad oder per Anhalter sind. Das Haus war sehr rustikal (kein Strom, also kein Licht, kein fließendes Wasser, Trockentoiletten und eine Dusche draußen, bei der das Wasser in einem großen Fass über einem Feuer erhitzt wird und man einen Eimer nehmen und in die Dusche schütten muss = ein weiterer Eimer mit einem improvisierten Duschkopf). Dennoch waren wir sehr froh, dass wir uns ein wenig waschen und Reisende aus aller Welt kennen lernen konnten. Patricio kochte für alle (jeder steuerte ein paar bescheidene Euro bei), während der Rest der Leute plauderte, Wein trank, Gitarre spielte und sang. Wir aßen zu chilenischer Uhrzeit (um 1 Uhr nachts) eine mit Thunfisch gefüllte Tomate als Vorspeise und hausgemachten Gnoccis Bolognese als Hauptspeise. Es war köstlich, aber letztendlich schliefen wir auf der Couch ein, der Tag war sehr lang für uns.
Nach einer kurzen Nacht auf der Couch (wir haben noch die Schlafsäcke rausgeholt und Patricio sagte allen wie der Vater einer großen Familie gute Nacht), standen wir früh auf für einen Kajakausflug zur Marmorkathedrale am Lago General Carrera. Dank der Verbindungen von Patricio wurden wir mit dem Auto direkt vor dem Haus abgeholt. Wir bekamen die gesamte Neoprenausrüstung, damit wir nicht nass werden, und die Schwimmweste. Nach einigen theoretischen Erklärungen wurden wir alle in ein Kajak gesetzt. 3 Stunden lang paddelten wir das Ufer des Sees entlang, um die Capilla de Marmol, die Catedral de Marmol und den Tunel de Marmol zu sehen. Wir erhielten viele Erklärungen über die Geologie, die außergewöhnliche blaue Farbe des Sees usw. und genossen diesen Morgen auf dem See in der Sonne. Wir waren froh, diese einzigartige Erfahrung im Kayak gemacht zu haben, im Gegensatz zu anderen, die eine Bootstour machten und nur 5 Minuten für den Besuch der Steinsformationen blieben.
Zu Beginn des Nachmittags setzten wir unseren Weg mit dem Fahrrad fort, und leider war es der erste platte Reifen für Matthieu. Nach einer Nacht in einem verlassenen Haus an der Straße fuhren wir in Richtung Cerro Castillo. Wir fuhren durch alle Jahreszeiten, begannen mit Winterwetter, machten ein Picknick unter der Frühlingssonne, machten eine schöne Abfahrt zum Cerro Castillo bei Sommerwetter und beendeten den Tag mit Herbstregen, so dass wir eine Nacht unter dem Dachvorsprung eines unfertigen Kiosks improvisierten. Der nächste Tag war nicht viel besser. Wir hatten eine schöne Abfahrt im Nationalpark Cerro Castillo, aber wir konnten sie nicht wirklich genießen, weil es zu windig war und wir bis auf die Knochen durchgefroren waren. Gegen Mittag konnten wir es nicht mehr ertragen und wollten Autos stoppen, aber leider hielt kein Auto an. Nach einer Stunde gaben wir auf und fuhren mit dem Fahrrad weiter. Wir verbrachten noch einige schwierigere Stunden auf dem Fahrrad, aber schließlich erreichten wir Coyhaique, die Hauptstadt der Region und das Ende unseres Tages. Wir trafen uns mit Nico, Flo und ihrem Sohn Samuel, unsere Gastgeber für die Nacht (und letztendlich auch die Folgenden), die uns wie alte Freunde willkommen hießen.
Letztendlich blieben wir mehrere Tage in Coyhaique, wir waren müde von den letzten Tagen und mussten uns ausruhen. Außerdem waren es nur noch wenige Tage bis Weihnachten, und die große Entfernung zu unseren jeweiligen Familien belastet unsere Moral ziemlich stark. Zum Glück gaben uns unsere Gastgeber ein wenig Motivation zurück, indem sie uns in ihr Familienleben integrierten und uns von den schönen Landschaften erzählten, die wir auf den nächsten Tagen unserer Reise sehen sollten.
Nördliche Hälfte der Carretera Austral
Nach den Erzählungen unserer Gastgeber in Coyhaique dachten wir, wir würden großartige Landschaften, Nationalparks, kurz gesagt den Traum der Radfahrer sehen. Aber letztendlich haben wir nicht viel davon gesehen, weil es die ganze Woche über fast ununterbrochen geregnet hat.
Am ersten Tag legten wir nur 30 km zurück, bevor wir in einem kleinen Café Zuflucht vor dem Regen fanden. Wir blieben 2 Stunden, um uns zu trocknen und zu hoffen, dass der Regen nachlässt. Am Ende hatten wir keine Kraft mehr zum Weiterfahren, zum Glück hatten die Besitzer des Cafés Hütten in ihrem Garten zu vermieten. Am nächsten Tag regnete es nur zeitweise, was für uns schon viel Glück bedeutete. So trauten wir uns sogar, im Zelt am Rande des Lago Las Torres zu schlafen. Die Nacht war feucht, aber bis auf das Zelt war alles trocken. Für den 24. Dezember hatten wir Puerto Cisnes im Visier, ein nettes kleines Dorf am Rande eines der vielen Fjorde. Die Strecke war wieder sehr nass, aber als wir in Puerto Cisnes ankamen, hörte der Regen endlich auf. Wir ließen uns in einem komfortablen Hotel nieder (unser Geschenk an uns selbst zu Weihnachten) und machten abends einen Spaziergang im Dorf. In diesem Moment kam endlich die Sonne durch die Wolken hervor und bot uns herrliche Blicke auf das Meer und die farbigen Booten in der Bucht. Begeistert von diesem Naturschauspiel finden wir ein Restaurant (das Einzige, das offen war an diesen Abend, was für ein Glück!), in dem man frischen Lachs essen konnte. Es war schwer, Weihnachten fernab der Familie zu feiern, aber wir haben das Beste daraus gemacht, mit dem einzigen Sonnenschein der Woche und gutem Lachs!
Wir hatten noch drei weitere Regentage, an denen wir nur Regenwolken an den Berghängen kleben sahen. Für die Nacht fanden wir zuerst ein kleines Hotel in Puyuhuapi und dann ein Buswartehäuschen am Land, das gerade groß genug für unsere beiden Matratzen und unsere Fahrräder war, um trocken zu bleiben. Schließlich kamen wir in Chaiten an, wo wir die Carretera Austral verließen, um zur Insel Chiloé zu fahren. Wir hatten die regnerischen Berge satt, wir wollten lieber an den Strand fahren!
Zu den Fotos: